Laut einer Deloitte-Studie von 2019 ist der Preis nach wie vor der wichtigste Faktor bei Kaufentscheidungen. Für Einzelhändler ist die Preisgestaltung ebenso wichtig: Laut McKinsey hat der Preis bei weitem den größten Einfluss auf den Gewinn. Was also tun Einzelhändler, um nicht nur ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, sondern auch die Bedürfnisse ihrer Kunden? Wenn der richtige Preis sowohl für die Kundengewinnung als auch für die Erzielung von Profit so entscheidend ist, wie genau setzen Einzelhändler die Preise fest? Die Antwort hängt von dem Zeitpunkt in der Geschichte ab, den Sie in Betracht ziehen.
Tauschhandel & Feilschen (bis Mitte des 19. Jahrhunderts*)
Von 9000-6000 v. Chr., lebten die Menschen in einer Welt, in dem weder Läden noch Währung existierten. „Käufe“ wurden durch den Tausch von Waren oder Dienstleistungen gegen andere Waren oder Dienstleistungen getätigt. In vielen Fällen wurden sogar Tiere als Tauschmittel verwendet. Natürlich erscheint es uns heutzutage unvorstellbar, den „Preis“ eines Artikels durch eine bestimmte Anzahl von Kühen und Schafen zu definieren. Spulen wir bis 800 v. Chr. im antiken Griechenland vor: hier verkauften Händler ihre Produkte auf Marktplätzen im Tausch gegen Münzen – ein Konzept, das dem Einzelhandel, wie wir ihn heute kennen, zu ähneln beginnt.
Während wir es heute gewohnt sind, einen Markt zu besuchen, ein Geschäft zu betreten oder in einem Online-Shop zu stöbern und für jeden Artikel einen deutlich gekennzeichneten Preis zu sehen, war dies nicht immer der Fall. Jahrhundertelang wurden Preise zwischen dem Käufer und dem Verkäufer pro Artikel ausgehandelt. Um den Preis optimal verhandeln zu können, mussten Händler sämtliche Details über ihre Produkte wissen, z.B. den Lagerbestand, den Kaufpreis und die Marktfrage – und das ohne jegliche Tools. Außerdem mussten sie die Kaufkraft des Kunden abschätzen, um den maximalen Gewinn zu erzielen.
*In der westlichen Kultur. In anderen Regionen der Welt besteht dieses System noch.
Festpreise & das Preisschild (ab Mitte des 19. Jahrhunderts)
Jeder, der schon einmal einen Basar im Nahen Osten oder ein Straßenmarkt in Asien besucht hat, wird bestätigen, dass Feilschen eine spannende und lohnende Erfahrung sein kann – aber gleichzeitig auch ein zeitaufwändiger und oft unfairer Prozess. Glücklicherweise wurde dieses Preissystem um die Mitte des 19. Jahrhunderts durch das Konzept der Preisbindung ersetzt.
Es besteht eine gewisse Diskrepanz darüber, wer genau Festpreise und damit das Preisschild erfunden hat. Berichten zufolge stammt die Idee der „festen Preissetzung“ (der Verkäufer wählt einen Preis, der allen Käufern auf dem Markt zur Verfügung steht) von den Quäker-Händlern in Philadelphia. Das Quäkertum ist eine Gruppe mit christlichen Wurzeln. Und da alle vor Gott gleich sind, sollten alle auch denselben Preis bezahlen – so die Meinung der Quäker. Es galt als unmoralisch unterschiedliche Beträge für ein und denselben Artikel zu verlangen, aufgrund des Aussehens, dem Status in der Gesellschaft oder sonstigen Merkmalen des Kunden.
In den USA wird die Erfindung des Preisschildes am häufigsten John Wanamaker zugeschrieben, der das Preisschild 1861 in seinem Kaufhaus in Philadelphia einführte. Andere behaupten, dass die Erfindung des Preisschildes etwas früher stattfand, als der irisch-amerikanische Kaufmann Alexander Turney Stewart 1846 in Brooklyn ein Geschäft mit standardisierten Preisen eröffnete. In Europa schreibt man die Einführung von Festpreisen dem Franzosen Aristide Boucicaut zu, der 1855 Preisetiketten in seinem Warenhaus Le Bon Marché einführte. Entgegen dem was die Quäker glaubten, empfanden die Armen diese Entwicklung eher als ungerecht, da sie nicht mehr die Chance hatten, durch hartes Verhandeln niedrigere Preise zu erhalten.
Klar ist, dass mit dem Übergang von kleinen Tante-Emma-Läden zu Kaufhausketten mit komplexeren Sortimenten Mitte des 19. Jahrhunderts das Preisschild zu einer Notwendigkeit wurde. Schließlich ist das Aushandeln des Preises für jeden Artikel mit jedem Kunden ein höchst ineffizienter Prozess, der ein gut ausgebildetes Ladenpersonal erfordert. Daher führten die großen europäischen und amerikanischen Kaufhausketten schnell flächendeckend Preisschilder ein, was letztendlich zu einer Verbreitung im gesamten Handel beigeführt hat.
Automatisierte dynamische Preisgestaltung (von den 1980er Jahren bis heute)
Den Preis für ein Produkt einmal festzulegen und im Geschäft das entsprechende Preisschild anzubringen, machte den Einzelhandel wesentlich effizienter als in der Zeit des Verhandelns. Effizienz garantiert jedoch nicht immer den höchsten Gewinn. Der Gewinn wird maximiert, wenn jeder Kunde entsprechend seiner Zahlungsbereitschaft bezahlen muss. Dies kann durch eine dynamische Preisgestaltung erreicht werden – eine Preisstrategie, bei der ein Unternehmen die Preise für ein Produkt oder eine Dienstleistung auf der Grundlage des aktuellen Angebots und der Nachfrage flexibel anpasst.
Die dynamische Preisgestaltung entstand in den 1980er Jahren, gefördert durch technologische Innovationen. Pionierarbeit leistete die Luftfahrtindustrie, die Faktoren wie Abflugzeit, Zielort und Saison nutzte, um die Preise für Flüge automatisch anzupassen. Bald folgten andere Zweige der Tourismusbranche, wie Hotels und Autovermietungen. In jüngerer Zeit haben auch die Einzelhändler eine dynamische Preisgestaltung eingeführt, allen voran Online-Giganten wie Amazon.
In gewisser Weise ähnelt die dynamische Preisgestaltung dem Feilschen früherer Jahrhunderte: Die Preise schwanken in Abhängigkeit von den aktuellen Lagerbeständen, der Tageszeit und der Marktnachfrage. Der Unterschied besteht darin, dass nicht mehr der Ladenbesitzer die Preisentscheidungen trifft, sondern eine KI-basierte Software. Und man kann mit gutem Gewissen sagen, dass ein Händler, egal wie viele Jahre Erfahrung er hat, nicht so schnell und präzise wie die KI die optimalen Preise bestimmen kann.
Wie man eine dynamische Preisgestaltung implementiert
Im Laufe der Zeit hat sich nicht nur der Einzelhandel weiterentwickelt, sondern auch die Erwartungen der Kunden. Die Kunden von heute wollen, dass Einkaufen Spaß macht, sie wollen guten Service, und sie wollen auf jeden Fall den bestmöglichen Preis! Die meisten Einzelhändler machen für diese Entwicklung den Aufstieg des E-Commerce verantwortlich, der sowohl die Transparenz als auch die Auswahl stark erhöht hat, so dass die Kunden heute problemlos online Preise recherchieren und zur Konkurrenz wechseln können.
Während also in den 80er und 90er Jahren die Einführung einer dynamischen Preisgestaltung eine zukunftsweisende Strategie war, wird sie jetzt zunehmend zu einer Notwendigkeit. Dennoch bleibt die Umsetzung für viele ein Rätsel. Hier ist ein Überblick über die einzelnen Schritte:
- Zielsetzung
- Datensammlung
- Datenanalyse
- Preisberechnung
- Preisimplementierung am POS
Auf den ersten Blick mag dies nach einer Menge Arbeit erscheinen – dieser Prozess muss schließlich über alle Produkte, Filialen und Vertriebskanäle hinweg durchgeführt werden. Aber mit den richtigen Werkzeugen ist es leichtgetan. Beim Analyse- und Berechnungsteil des Prozesses kommen maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz ins Spiel. Was die Implementierung von Preisen in der Filiale betrifft, so wird dies am besten durch den Einsatz elektronischer Regaletiketten erreicht.
Obwohl die Implementierung von KI-basiertem Dynamic Pricing viele Vorteile hat – einschließlich Gewinn- und Effizienzsteigerungen – ist ihre Umsetzung nicht einwandfrei. Technologische Fortschritte haben die Möglichkeiten zur Datensammlung und -Analyse verbessert, aber die Hürde, die besteht, ist die Akzeptanz der Verbraucher für schwankende Preise. Da der Preis ein zentrales Kaufkriterium ist, wie die oben erwähnte Deloitte-Studie nahelegt, könnten Preisänderungen einige Kunden irritieren. Höchstwahrscheinlich sind die Quäker auch nicht die größten Fans der dynamischen Preisgestaltung. Unserer Ansicht nach können Einzelhändler jedoch Maßnahmen ergreifen, um das Vertrauen und die Akzeptanz ihrer Kunden zu erhalten. Zum Beispiel ist es wichtig, dass während einer Transaktion konsistente Preise angeboten werden und nicht an der Kasse plötzlich ein anderer Preis als im Regal erscheint. Wenn sich die Einzelhändler an solche Richtlinien halten, ist es sicher nur eine Frage der Zeit, bis sich die dynamische Preisgestaltung in großem Umfang durchsetzt – wie es bereits in anderen Branchen wie Tourismus und Gastgewerbe der Fall ist.
Weitere Informationen zur dynamischen Preisgestaltung im Einzelhandel finden Sie in unserem kostenlosen E-Book „Die neue Preisnormalität: Wie Dynamic Pricing die Profitabilitätsgrenze im Online- und Offline-Handel durchbricht“.